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Sugus-Schlagzeilen – eine Analyse am Beispiel aktueller Immobilienberichterstattung

Sugus-Schlagzeilen – eine Analyse am Beispiel aktueller Immobilienberichterstattung

von Michael Meier – Mediensprecher Crowdhouse AG

Folgende Beobachtungen mögen einige als spitzfindig erachten – unmittelbar aufgefallen sind sie trotzdem. Mein Weg in die Immobilienbranche war unüblich. Als studierter Germanist und Historiker sprach nach meinem Studium wenig dafür, in diesem Metier Fuss zu fassen. Seit ich nach meinem Studium in die Privatwirtschaft gewechselt bin, bin ich im Kommunikationsbereich tätig. Meine Antennen für sprachliche Nuancen sind – wie bei praktisch allen, die in diesem Bereich tätig sind – ausgeprägt. Und sie schlagen insbesondere auch bei der Immobilienberichterstattung immer wieder Alarm.

Jüngstes Beispiel: Die Berichterstattung über die Schlichtungsverhandlungen bei den «Sugus»-Häusern. Zur Erinnerung. Im Dezember 2024 hatte eine Eigentümerin 200 Mieterinnen und Mietern in den Sugus-Häusern kurz vor Weihnachten die Kündigung ausgesprochen. Der Fall hat ein mediales Erdbeben ausgelöst. Und wurde in kürzester Zeit zum politischen Kampfsymbol. 

Anfechtung durch die Mieterinnen und Mieter

Mehrere Mietparteien haben sich in der Folge unter Mitwirkung des Mieterinnen- und Mieterverbands dazu entschlossen, sich zu wehren und haben den Fall vor die Schlichtungsbehörde gebracht. Gut sechs Monate später sind die ersten Schlichtungsverhandlungen abgehalten worden. 

Das Ergebnis solcher Schlichtungsverhandlungen bleibt in der Regel unter Verschluss. Schlussendlich sind solche Verhandlungen in Mietsachen eine vertrauliche Angelegenheit, bei der die Öffentlichkeit nicht zugelassen ist. Nicht selten wird diese Vertraulichkeit bei der Schliessung von Kompromissen durch entsprechende Vertraulichkeitserklärungen untermauert. 

Nicht so bei den «Sugus»-Häusern. Der Mieterverband, welcher die Mietparteien vor der Schlichtungsbehörde vertritt, hat sich zum Ergebnis der Verhandlungen geäussert. Gemäss dem Bericht des MV ist die Schlichtung zum Schluss gekommen, dass die Kündigungen missbräuchlich sind. Gemäss der Anwältin der Mieterinnen und Mieter waren dafür mehrere Gründe entscheidend:

  1. Anfang September 2024 hatte die Eigentümerin den Bewohnenden offensichtlich einen Brief geschickt. Darin gab sie an, die Mieten um zehn Prozent zu erhöhen. Sie schrieb darin auch, die Angeschriebenen als Mietende behalten zu wollen. Als Sie gemerkt hat, dass dieses Vorhaben auf Widerstand stösst, hat sie sich offenbar dazu entschieden, die Wohnungen leerzukündigen. Das steht in so kurzer zeitlicher Abfolge im Widerspruch zu ihrer ursprünglichen Intention – und ist deshalb problematisch.
  2. Als Kündigungsgrund gab die Eigentümerin eine «Sanierungskündigung» an. Dafür muss aber ein ausgereiftes Sanierungsprojekt vorliegen. Ein solches wurde offenbar nicht ausgearbeitet.
  3. Die Eigentümerin hat zweimal gekündigt. Die erste Kündigung wurde widerrufen, weil die Eigentümerin mehr Zeit beanspruchen wollte. Die zweite Kündigung kam, während die Schlichtungsgesuche zur ersten Kündigung bereits vorlagen. Auch das ist problematisch. 

Diese Begründungen haben die Schlichtungsbehörde offensichtlich überzeugt und dazu veranlasst, die entsprechende Kündigung als missbräuchlich zu beurteilen. 

Mediales Echo

Der Fall der Sugus-Häuser hatte 2024 ein enormes mediales Echo erzeugt und selbstverständlich wurde auch über die neuesten Entwicklungen bei den Schlichtungsverhandlungen berichtet:

NZZ

Sugus-Häuser: Die Kündigungen sollen missbräuchlich gewesen sein – weil ein ausgereiftes Sanierungsprojekt fehlt

NZZ

23.06.2025

SRF

Widerstand gegen Räumung: Schlichtungsbehörde gibt Mietenden der “Sugus-Häuser” recht

SRF

23.06.2025

Tages-Anzeiger

Verfahren um Zürcher Sugus-Häuser – Kündigung missbräuchlich – Mietende erringen ersten Sieg

Tages-Anzeiger

23.06.2025

Blick

Kündigungen bei Zürcher Sugus-Häusern waren “missbräuchlich”

Blick

23.06.2025

20 Minuten

Mietgericht – Kündigungen in den Zürcher Sugus-Häusern sind missbräuchlich

20 Minuten

23.06.2025

Alleine der Blick auf die Schlagzeilen ist spannend. Beim ersten Durchlesen mag man eventuell zum Schluss kommen, dass sich alle Schlagzeilen mehr oder weniger entlang der gleichen Machart orientieren. Ein genauerer Blick offenbart aber mehr. Ich habe die Spitzfindigkeit der nun folgenden Analyse anfangs betont und falls Ihnen bereits früher beim Deutschunterricht eher zum Gähnen zu Mute war, empfehle ich Ihnen, die Lektüre hier abzubrechen.

Analyse

Vorab ist es wichtig, die aktuelle Sachlage insbesondere in einem Punkt klar darzustellen. Die Schlichtungsbehörde ist eine vorgerichtliche Instanz. Sie dient als erste Anlaufstelle, um Streitigkeiten aussergerichtlich beizulegen, bevor ein Gericht eingeschaltet wird. Sie hat die vorliegende Kündigung nun offenbar als «missbräuchlich» beurteilt. Die Schlichtungsbehörde wird den Parteien auf der Basis der mündlich eröffneten Einschätzung einen Entscheidvorschlag vorlegen. Die Vermieterin hat danach 20 Tage Zeit, diesen Entscheidvorschlag anzunehmen oder abzulehnen. Lehnt sie den Entscheidvorschlag ab, kann sie innert 30 Tagen eine Klage am Mietgericht einreichen.

Wie bereits im Wort «Entscheidvorschlag» impliziert, handelt es sich dabei um einen Vorschlag, der nur dann Gültigkeit erlangt, wenn beide Parteien diesen Vorschlag annehmen. Falls die Eigentümerin diesen nicht annehmen will, kann sie dagegen beim Mietgericht klagen. 

Sie haben in der Zwischenzeit wahrscheinlich gemerkt, auf welchen einfachen Punkt ich hinauswill: Der Entschluss einer Schlichtungsbehörde ist nicht gleichbedeutend mit der Tatsache, dass eine Kündigung missbräuchlich ist. Die Missbräuchlichkeit der Kündigung wäre bestätigt, wenn die Eigentümerin den Entscheidungsvorschlag der Schlichtungsbehörde annimmt oder ein Mietgericht den Entscheid der Schlichtungsbehörde bestätigt. Beides ist bis dato nicht geschehen. 

Im Wissen darum schauen wir uns die Schlagzeilen noch einmal genauer an.

NZZ

Sugus-Häuser: Die Kündigungen sollen missbräuchlich gewesen sein – weil ein ausgereiftes Sanierungsprojekt fehlt.

NZZ

23.06.2025

Mit dem Verb «sollen» umschreibt die NZZ sehr präzise den aktuellen rechtlichen «Aggregatzustand» des Entscheids. Sie verwendet bewusst eine Möglichkeitsform.

SRF

Widerstand gegen Räumung: Schlichtungsbehörde gibt Mietenden der “Sugus-Häuser” recht

SRF

23.06.2025

Auch das SRF schildert die aktuelle Situation mit dem Satz «Schlichtungsbehörde gibt Mietenden der “Sugus-Häuser” recht» sehr präzise. Problematisch ist die Einleitung «Widerstand gegen Räumung». Beim Schlichtungsverfahren ging es explizit um die Kündigung. Bei einer «Räumung» handelt es sich um einen anderen mietrechtlichen Tatbestand. Die Räumung ist ein gerichtliches Verfahren, bei dem ein Vermieter die Räumung einer Wohnung oder eines Hauses durch den Mieter erwirken kann. Der Vermieter muss dafür zunächst eine Räumungsklage einreichen. Nichts davon steht aktuell beim Fall der Sugus-Häuser zur Diskussion. 

Tages-Anzeiger

Verfahren um Zürcher Sugus-Häuser – Kündigung missbräuchlich – Mietende erringen ersten Sieg

Tages-Anzeiger

23.06.2025

Man könnte interpretieren, dass der Tages-Anzeiger mit der Formulierung «Kündigung missbräuchlich» zwar das Vorliegen einer juristischen Tatsache impliziert – die Aussage wird mit dem Zusatz «Mietende erringen ersten Sieg» allerdings kontextualisiert. 

Blick

Erster Entscheid von Schlichtungsbehörde: Kündigungen bei Zürcher Sugus-Häusern waren “missbräuchlich”

Blick

23.06.2025

Durch das Setzen der Anführungszeichen beim Adjektiv «missbräuchlich» ist auch die Aussage der Blick-Schlagzeile präzise. Auch die Zusatzüberschrift: «Erster Entscheid von Schlichtungsbehörde» dient der präzisen Kontextualisierung.

20 Minuten

Mietgericht – Kündigungen in den Zürcher Sugus-Häusern sind missbräuchlich

20 Minuten

23.06.2025

Am irreführendsten ist die Schlagzeile von 20 Minuten: Die Aussage, dass die Kündigungen in den Zürcher Sugus-Häusern missbräuchlich sind, ist – zumindest zum Zeitpunkt der Erscheinung des Artikels – nicht korrekt. Auch das einleitende Wort «Mietgericht» führt zu einer falschen Kontextualisierung. Die Schlichtungsbehörde ist nicht das Mietgericht.

Fazit

Man kann das als Wortklauberei auslegen – insbesondere mit dem Einwand, dass allfällige Präzisierungen in den jeweiligen Artikeln bei dieser Analyse nicht mit eingeflossen sind, obschon bei allen angeführten Beispielen der Lead zur weiteren korrekten Kontextualisierung des Sachverhaltes beiträgt. Nichtsdestotrotz scheinen mir zwei Dinge abschliessend erwähnenswert:

  1. Ich erachte es weder als einen Zufall, dass die vermieterfreundlichste Formulierung in der NZZ, noch die suggestivste im Boulevard (20 Minuten) zu finden ist. Zur politisch motivierten medialen Ausschlachtung von mietgerichtlichen Ausseinandersetzung gibt es mehrere ausführliche Berichte – auch im Fall der Sugus-Häuser. Schlagzeilen sind wohl überlegt. Sie entstehen nicht zufällig und spielen als Aufmerksamkeitsmagnet eine zentrale Rolle.
  2. Wenn es um juristische Auseinandersetzungen geht, erachte ich sprachliche Präzision als wichtig – insbesondere auch bei der Berichterstattung gegenüber nicht-involvierten Drittparteien. Denn ob eine Schlichtungsbehörde oder ein Mietgericht eine Kündigung als missbräuchlich erachtet, ist mehr als nur ein Detail – es bedeutet für alle Beteiligten einen riesigen Unterschied.