Sinkende Schweizer Bautätigkeit | Gründe und Auswirkungen

How to Real Estate #58

  • Sinkende Schweizer Bautätigkeit | Gründe und Auswirkungen

Die Leerwohungsziffer in der Schweiz ist auch in diesem Jahr stark zurückgegangen. In der Schweiz gibt es zu wenig Wohnungen. Nicht wenige Expertinnen und Experten sprechen von einer akuten Wohnungsnot – das Thema landet vermehrt auf politischen Agenden. Und – unabhängig davon – ob der Begriff der Wohnungsnot angebracht ist oder nicht. Eines ist klar: In der Schweiz wird aktuell nicht genug gebaut – woran liegt das und was wird dieser Umstand für Auswirkungen auf den Schweizer Immobilienmarkt haben?

Einordnung

«Die Bautätigkeit ist aktuell zu niedrig» – diesen Satz lesen Sie zurzeit sehr oft. Aber – woran genau wird das festgemacht. Natürlich – Grundsätzlich kann man die aktuellen Zahlen historisch beurteilen und mit dem Niveau von Vorjahren vergleichen – das alleine erlaubt einem aber nicht wirklich, diese Quantität qualitativ einzuordnen. Entscheidend ist der Bezug zum aktuellen und antizipierten Bedarf an Wohnungen. Und aus dieser Perspektive ist klar: Die aktuelle Bautätigkeit reicht nicht aus, um mit der zukünftigen Entwicklung des Bedarfs Schritt zu halten. Das hat verschiedene Gründe – die wichtigsten werden hier diskutiert.

Geändertes Narrativ

Das Narrativ der Wohnungsnot ist in der Schweiz relativ neu. Die Leerwohnungsziffer ist in den letzten 3 Jahren kontinuierlich gesunken. Im Jahr 2020 betrug Sie 1,71% – der höchste Wert seit 1998. Und wenn Sie die Berichterstattung von damals noch einmal betrachten, stellen Sie fest: Von Wohnungsnot war damals nicht die Rede – im Gegenteil. Die Schlagwörter der Stunde lauteten damals Überangebot, Geisterstädte und Leerstandsproblematik. Wieso ist das entscheidend. Nun – das damalige Narrativ hatte natürlich Einfluss auf die entsprechende Weichenstellung. Die Bautätigkeit ist ein Indikator, der sich nicht sofort – sondern relativ verzögert auswirkt. Und selbstverständlich spüren wir die Nachwirkung des damaligen Narrativs noch heute. Viele Akteure gingen damals davon aus, dass sich die Leerwohnugsziffer relativ konstant auf eher hohem Niveau weiterentwickeln wird. Das waren damals nicht unbedingt die gewinnbringendsten Aussichten für Entwickler, die neue Wohnungen auf den Markt bringen wollten. Kaum jemand hat den schnellen Rückggang der Leerwohnungsiffer von 1,71% auf 1,15% innert 3 Jahren antizipiert – und wenn man sich die Entwicklungen der letzten 3 Jahre genauer anschaut, dann ist das auch relativ einfach nachvollziehbar.

Veränderte Zuwanderungs-Dynamik

Denn die letzten 3 Jahre waren in mehrerer Hinsicht aussergewöhnlich. Allen voran die 2020 einsetzende Corona-Pandemie hat dabei einiges auf den Kopf gestellt. Zum einen haben die Abzüge aus der Schweiz während der Corona-Pandemie aufgrund der internationalen Reisebeschränkungen logischerweise stark nachgelassen. Gleichzeitig hat sich die Schweiz während der Corona-Pandemie und neuerdings auch im Umfeld von geopolitischer Unsicherheit, steigenden Zinsen und weltweiter Inflation einmal mehr als krisensicherer Hafen manifestiert und dadurch in den letzten Jahren als Arbeits- und Wohnort deutlich an Attraktivität gewonnen. Dazu kommt eine steigende Zuwanderung als direkte Folge des Ukraine-Konflikts. Lange Rede kurzer Sinn: In den letzten 3 Jahren ist einiges passiert, dass die Zu- und Abwanderungsdynamik in der Schweiz nachhaltig verändert hat.

Teurere Kredite

Mit der 2021 einsetzenden Inflation und dem als Reaktion darauf geänderten Kurs der Nationalbanken kommt eine einfache mathematische Komponente hinzu: Die Zinsen sind seit 2021 kontinuierlich gestiegen – in der Schweiz von einst -0,75% auf – Stand Oktober 2023 – 1,75%. Davon sind Bauunternehmer direkt betroffen, denn im Zuge der Leitzinserhöhungen sind auch Baukredite teurer geworden. Das stellt Bauunternehmer vor veränderte finanzielle Herausforderungen. Teurere Kredite bedeuten höhere Kosten und damit weniger Spielraum bei der Realisierung von Projekten. Mehrere geplante Projekte wurden angesichts des neuen Marktumfeldes nicht begonnen oder fallen gelassen.

Verändertes Marktumfeld

Und die gestiegenen Zinsen wirken sich auch noch auf einer anderen entscheidenden Ebene aus. Bauunternehmer sind in vielen Fällen darauf angewiesen, dass Sie Ihre Projekte an entsprechende Investoren veräussern können. Höhere Leitzinsen wirken sich für Investoren in höheren Fremdfinanzierungskosten aus – das wiederum verengt deren Rendite-Spielraum und beinflusst deren Kaufbereitschaft und Preiserwartung. Diese aktuelle Zurückhaltung lässt sich auf dem Markt auch durch Zahlen belegen. Die Transaktionen auf dem Schweizer Markt sind im letzten Jahr um 50% zurückgegangen. Auch das sind Aussichten, die sich nur wenig motivierend auf den Bausektor auswirken.

Gestiegene Baukosten

Der Kostenfaktor ist für Bauunternehmer entscheidend: Einfach gesagt – je höher die Kosten für Bauunternehmen werden, desto unattraktiver werden deren Kalkulationen und desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie neue Projekte initiieren und ausführen. Wesentliche Kostenfaktoren für Bauunternehmer sind Material-, Energie- und Lohnkosten – und wenn man sich die Entwicklung dieser Parameter über die letzten Jahre anschaut, wird ein weiterer Grund offensichtlich, welcher die Bautätigkeit in letzter Zeit deutlich eingeschränkt hat. Das Bauen ist seit 2020 nämlich deutlich teurer geworden. Das lässt sich am besten mit dem Schweizerischen Baupreisindex veranschaulichen, der halbjährlich vom Bundesamt für Statistik veröffentlicht wird. Gehen wir vor einer Betrachtungsweise aus, bei der die Ist-Situation vom Oktober 2020 mit einem Basiswert von 100 Punkten indiziert ist. Sowohl für das Baugewerbe generell wie auch für die isolierte Betrachtung von Neubauten von Mehrfamilienhäuser zeigt der Index eine deutliche Sprache: Die Kosten sind in den letzten 3 Jahren deutlich gestiegen. Hinzu kommen deutlich gestiegene Energiepreise und ein akuter Fachkräftemangel, welcher sich preistreibend auf die Lohnkosten auswirkt.

Längere Bewilligungsverfahren

Neben den zahlreichen finanziellen Faktoren, welche die Bautätigkeit beinflussen, gibt es auch bürokratische Rahmenbedingungen, die eine entscheidende Rolle spielen. Denn für Bauunternehmer ist die Initiierung von neuen Projekten in den letzten Jahren definitiv nicht einfacher geworden. Die ZKB hat in einer Studie untersucht, wie sich die Dauer zwischen Baugesuch und Erteilung der Baubewilligung seit 2010 entwickelt hat. Die Resultate sind ernüchternd: Im Schweizer Durchschnitt dauert es 140 Tage, bis mit der Umsetzung eines Bauprojekts begonnen werden kann. Das ist 67% länger als noch im Jahr 2010. Und dort, wo Wohnraum dringend benötigt wird, ist die Situation noch gravierender: Im Kanton Zürich ist die Durchschnittsdauer 170 Tage. In der Stadt 200 Tage. Und in der Stadt Genf unfassbare 500 Tage. Extrem lange und vor allem überall deutlich länger, als noch im Jahr 2010.

Mehr Einsprachen

Aber immerhin – wenn das Baugesuch bewilligt ist, können Bauunternehmer loslegen. Richtig? Falsch: Seit 2010 wurde in der Schweiz jedes 10 Bauvorhaben aufgrund von Einsprachen nicht realisiert. Alleine dadurch entgehen dem Schweizer Immobilienmarkt gemäss Schätzungen der ZKB pro Jahr 4’000 neue potentielle Mietwohnungen. Und die Tendenz ist steigend. Als Beispiel: Seit 2010 ist die Einsprachenquote auf Zürcher Boden von 51 auf 71% gestiegen. Einsprachen sind in der Schweiz zu einem regelrechten Volkssport geworden. Jeder Betroffene kann gegen jeden noch so kleinen Aspekt eines geplanten Neubaus klagen. Für Bauunternehmer bedeuten diese Aussichten extreme Planungsunsicherheit, grössere finanzielle Risiken und steigende Kosten – noch bevor der erste Spatenstich erfolgt ist. Ein Problem, dass ich im How to Real Estate Podcast mit Crowdhouse CEO Robert Plantak besprochen habe.

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Fazit

Fassen wir das alles zusammen: Das in der Schweiz aktuell zu wenig gebaut wird, hat vielseitige Gründe. Erstens: Das Narrativ, das dringend mehr Wohnungen benötigt werden, ist in der Schweiz relativ neu, kam plötzlich und steht der ursprünglichen Ausgangslage vor wenigen Jahren diametral gegenüber. Zweitens: Die Zuwanderungsdynamik in der Schweiz hat sich im Zuge von Corona, Zinsanstieg und Inflation deutlich geändert. Drittens: Die Veräusserung von Liegenschaften ist in einem neuen Marktumfeld mit gestiegenen Zinsen schwieriger geworden – das drückt auf die Euphoriebremse. Viertens: Das Kostenumfeld für Bauunternehmer ist in den letzten Jahren unattraktiver geworden – und das Bauen damit grundsätzlich weniger lukrativ. Und zu guter letzt: Der bürokratische Hürdenlauf mit immer längeren Bewilligungsdauern und aggressiven Einsprachen wird für Bauunternehmer zunehmend zu einer ernsthaften Belastung.

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