Leerwohnungsziffer Schweiz 2022: Vom Überangebot zur Wohnungsnot
Per Stichtag vom 1. Juni 2022 standen in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik 61’496 Wohnungen leer. Das sind rund 10’000 Wohnungen weniger als im Vorjahr. Das entspricht einer Abnahme von markanten 13,8%. Die Leerwohnungsziffer sank von 1,54% im Jahr 2021 auf 1,31%.
- Gründe für sinkende Leerwohnungsziffer 2022
- Was gilt überhaupt als «Leerwohnung»?
- Datenerhebung der Leerwohnungsziffer – Viele Möglichkeiten aber keine einheitliche Methode
- Leerwohnungsziffer der Schweiz im internationalen Vergleich
- Leere Wohnungen vs. steigende Anzahl Haushalte
- Die Zahl der Haushalte wächst schneller als die Bevölkerung
- Über 300’000 neue Privathaushalte bis 2030
- Fazit: Langfristige Investitionen erfordern langfristige Perspektiven
Gründe für sinkende Leerwohnungsziffer 2022
Im «Immobilienmonitor Schweiz» vom September 2019 hatte die Credit Suisse die Leerstände in der Schweiz zum «chronischen Problem» erklärt. Allzu hartnäckig zeigte sich diese Chronik nicht. Nach nur 3 Jahren ist das ehemalige Überangebot an Mietwohnungen deutlich rückläufig. Die Leerwohnungsziffer verzeichnete 2022 den deutlichsten Rückgang der letzten 20 Jahre.
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Deutlich weniger Bautätigkeit
Der wichtigste Grund für den starken Rückgang liegt auf der Angebotsseite. In den vergangen zwei Jahren haben deutlich weniger Wohnungen eine Baubewilligung erhalten. Verzögerungen durch Lieferengpässe und die starken Anstiege der Baupreise dürften den Rückgang temporär weiter verstärken. Gleichzeitig steht dem stockenden Angebot auf der Nachfrageseite eine nach wie vor solide und hohe Zuwanderung gegenüber.
Im Vergleich zum 1. Juni 2021 verringerte sich der Leerwohnungsbestand bei allen Wohnungskategorien. Bei den 3- und 4-Zimmerwohnungen waren innert Jahresfrist die grössten Rückgänge zu beobachten. Das widerspiegelt den Trend des pandemiebedingten Nachfragezuwachs nach grösseren Wohneinheiten. Gleichzeitig werden weiterhin 3- und 4-Zimmerwohnungen am meisten angeboten.
Rückgang von Leerständen in allen 7 Grossregionen
In allen sieben Grossregionen wurden am Stichtag weniger leer stehende Wohnungen zum Kauf oder zur Miete angeboten als noch ein Jahr zuvor. Die grössten Rückgänge der Leerstandsquoten im Vergleich zum Vorjahr wurden in den Grossregionen Tessin, Ostschweiz und Zentralschweiz beobachtet.
Rückläufige Zahlen in 22 von 26 Kantonen
Gegenüber dem Jahr 2021 ist die Leerwohnungsziffer in 22 von 26 Kantonen gesunken. Am deutlichsten in den Kantonen Appenzell Innerrhoden (0,92 Prozentpunkte) und Uri (0,89 Prozentpunkte). Nur in 4 Kantonen ist die Leerwohnungsziffer gestiegen, wobei sich der Anstieg in Basel, Schaffhausen und Glarus lediglich im Nachkommastellenbereich bemerkbar macht. Am deutlichsten angestiegen ist die Leerwohnungsziffer im Kanton Jura (0,4 Prozentpunkte).
Für weitere Informationen zur Leerwohnungsziffer 2022 hören Sie sich unsere aktuellen Podcast an.
Was gilt überhaupt als «Leerwohnung»?
Das Bundesamt für Statistik gibt eine genaue Definition, welche Wohneinheiten für die Leerwohnungszählung zu erfassen sind: Alle Wohnungen und Einfamilienhäuser die per Stichtag (1. Juni) unbesetzt aber bewohnbar sind und zur dauernden Miete von mindestens drei Monaten oder zum Kauf angeboten werden.
Explizit ausgeschlossen sind Wohnungen, die zwar unbesetzt aber bereits vermietet oder verkauft sind, nicht für Wohnzwecke angeboten werden, einem beschränkten Personenkreis vorbehalten sind, polizei- oder richterlich gesperrt sind oder in der Regel für weniger als drei Monate vermietet werden.
Datenerhebung der Leerwohnungsziffer – Viele Möglichkeiten aber keine einheitliche Methode
In der Schweiz gibt es 2’148 Gemeinden (Stand 1. Januar 2022). Jede Einzelne davon muss jährlich ermitteln, wie viele Wohnungen auf dem eigenen Gemeindegebiet als Leerwohnung gemäss Definition des BfS (siehe oben) gelten. Für die Erfassung dieser Zahlen gibt es keine vorgeschriebene Methode. Das Bundesamt für Statistik macht in der Wegleitung methodische Vorschläge und verweist auf unterschiedliche Quellen, die bei der Erhebung berücksichtigt werden können:
- Kombinierte Einwohner- / Gebäudedatei
Gemeinden, die über eine kombinierte Einwohner- und Gebäudedatei verfügen, können alle am 1. Juni nicht bewohnten Wohnungen ausdrucken lassen. - Einwohnerkontrolle
Ein Vergleich der Zu- und Wegzüge gibt Aufschluss darüber, an welchen Adressen Wegzüge aber keine Zuzüge erfolgt sind. - Rundschreiben an Liegenschaftsverwaltungen, Treuhand-, Notariats- und Architekturbüros
Sämtliche auf dem Gemeindegebiet tätigen Liegenschaftsverwaltungen, Treuhand-, Notariats- und gegebenenfalls Architekturbüros können angeschrieben und mit einem Erhebungsformular bedient werden. - Elektrizitätswerk
Die meisten Elektrizitätswerke sind in der Lage, Installationen von Stromzählern ohne entsprechende Abonnenten zu identifizieren. - Baupolizei / Bauinspektorat
Die örtliche Baupolizei oder das örtliche Bauinspektorat können Angaben über neu erstellte Wohnungen machen. - Aufruf im amtlichen Anzeiger und/oder in Tageszeitungen
Hauseigentümer und Verwaltungen können mittels einem Aufruf im amtlichen Anzeiger der Gemeinde und/oder in den meistverbreiteten Tageszeitungen aufgerufen werden. Sie sollen sich bei der zuständigen Stelle melden, wenn sie leerstehende Wohnungen im Sinne der Zählung haben. - Zeitungsinserate
Es können die in den Zeitungen erscheinende Wohnungsinserate ausgewertet und die entsprechenden Inserenten angeschrieben oder telefonisch kontaktiert werden.
Erhebliche Aufwände für die Gemeinden
Das Bundesamt für Statistik weist ausführlich darauf hin, dass für eine vollständige Erfassung der gewünschten Zahl in der Regel eine Kombination verschiedener Quellen notwendig ist. Bei den unterschiedlichen Methoden treten dabei verschiedene Probleme auf:
- Daten aus dem kantonalen oder eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister (eidg. GWR) entsprechen nicht (uneingeschränkt) den Definitionen der Leerwohnungszählung.
- Ob eine identifizierte Einheit tatsächlich eine Leerwohnung im Sinne der Zählung ist, muss oft in aufwendigen Recherchen ermittelt werden.
- Gemeinden sind auf die Kooperation von Verwaltern angewiesen – eine lückenlose Datenüberlieferung kann dabei nicht garantiert werden.
- Für viele Gemeinden ist es eine Herausforderung, überhaupt ermitteln zu können, welche Verwaltungen in der Gemeinde aktiv sind.
- Die Ermittlung, ob Neubauten zum Stichtag bereits bewohnbar sind oder nicht, erfordert weitere aufwendige Abklärungen.
- Portale wie Homegate oder Immoscout sind legitime Quellen, die allerdings nicht hinreichend sind – nicht jede Wohnung, die auf Homegate ausgeschrieben ist, gilt zum Stichtag als Leerwohnung. Und nicht jede Leerwohnung ist auf diesen Portalen aufgeführt.
Leerwohnungsziffer der Schweiz im internationalen Vergleich
Auch wenn diese Entwicklung erfreulich ist: Die reine Betrachtung der Leerwohnungsziffer greift zu kurz. Insbesondere ein Aspekt sollte stärker in den Fokus rücken: Die Anzahl und Struktur der Schweizer Haushalte.
Genauere Betrachtungen zum internationalen und historischen Vergleich der Leerstandsziffer Schweiz finden Sie in unserem Video.
Leere Wohnungen vs. steigende Anzahl Haushalte
Um die Wohnungsnachfrage richtig einschätzen zu können, lohnt sich folgende Frage: Wie viele Wohnungen stehen pro 1000 Haushalte in der Schweiz leer? Historisch betrachtet ist dieser Koeffizient jüngst wieder gesunken: Im Jahr 2011 lag er bei 11.2. Bis ins Jahr 2020 hat er sich auf 20.38 erhöht und im Jahr 2021 liegt er bei 18.45.
Leerwohnungsziffer Schweiz: Entwicklung Leere Wohnungen pro 1000 Privathaushalte 2012 – 2021
Die Betrachtungsweise verdeutlicht: Einer Gruppe von 1000 Privathaushalten stehen 2021 schweizweit 18.45 leere Wohnungen gegenüber. Eine Angebotsflut sieht anders aus. Der diesbezügliche Höchstwert stammt übrigens aus dem Jahr 1998 – damals waren es 20 leere Wohnungen pro 1000 Haushalte.
Die Zahl der Haushalte wächst schneller als die Bevölkerung
Entscheidend sind die langfristigen Zukunftsperspektiven. Besonderer Fokus sollte dabei auf die Entwicklung der Privathaushalte gerichtet werden. Aus einem einfachen Grund: Bevölkerungswachstum und das Wachstum der Haushalte verlaufen nicht parallel. Seit 1850 hat sich die Bevölkerung in der Schweiz verdreifacht. Die Anzahl der Haushalte dagegen hat sich versiebenfacht. Und auch jüngst ist das Total der Haushalte schneller gewachsen als die Bevölkerung: Im Vergleich zu 2012 verzeichnete das Bevölkerungswachstum im Jahr 2020 einen Zuwachs von 7.99%. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl der Haushalte um 10.85% gestiegen.
Entwicklung der Wachstumsraten Bevölkerung vs. Haushalte im Zeitraum 2012 – 2020
Und auch was die Zukunft betrifft, werden den Haushalten grössere Wachstumsraten prognostiziert als der Bevölkerung. Im Zeitraum zwischen 2020 und 2025 wächst die Bevölkerung voraussichtlich um 4.26%. Im gleichen Zeitraum wird für die Privathaushalte ein Wachstum von 4.94% prognostiziert. Die Daten beziehen sich jeweils auf das Referenzszenario der Bevölkerungs- und Haushaltsszenarien, welche vom Bundesamt für Statistik publiziert wurden.
Entwicklung der Wachstumsraten Bevölkerung vs. Haushalte im Zeitraum 2020 – 2050 (Referenzszenario)
Über 300’000 neue Privathaushalte bis 2030
Gemäss dem vom Bundesamt für Statistik berechneten Referenzszenario für die zukünftige Entwicklung der Haushalte ist davon auszugehen, dass die Anzahl Privathaushalte in den kommenden Jahrzehnten weiter zunimmt. Alleine bis 2030 werden gemäss Referenzszenario rund 331’000 neue Haushalte dazukommen. Das entspricht – unter Berücksichtigung der aktuell leerstehenden Objekte – einem Bedarf von über 36’000 zusätzlichen neuen Wohnungen pro Jahr. Aktuell wird dieser Bedarf auf Jahresbasis zwar übertroffen. Ob sich die Bautätigkeit auf diesem Niveau wird halten können, ist allerdings äusserst fraglich. Ein Rückgang der Bautätigkeit scheint nicht nur realistisch, sondern ist definitiv auch wünschenswert.
Gemäss Referenzszenario des BfS (im Bild orange dargestellt, AM-00-2020) entstehen alleine in den nächsten 9 Jahren 331’000 neue Privathaushalte in der Schweiz. Bis 2050 wird ein anstieg auf 4.7 Millionen Haushalte prophezeit. Das entspricht einem Zuwachs von 21% gegenüber 2021. als Vergleich dazu ein pessimistisches Szenario (gelb, CM-00-2020) sowie ein optimistisches Szenario (grau, BM-00-2020).
Das Wachstum wird vor allem Haushalte mit 1 bis 2 Personen betreffen – und dementsprechend auch die Nachfrage im entsprechenden Wohnsegment beeinflussen.
Der Anstieg der Privathaushalte wird vor allem im Segment der 1- bis 2- Personenhaushalte stattfinden. Dementsprechend werden Wohnangebote, die sich an diese Zielgruppe richten, verstärkt gefragt sein.
Fazit: Langfristige Investitionen erfordern langfristige Perspektiven
Immobilien haben noch nie nur kurzfristig rentiert. Wer einen Investitionsentscheid trifft, sollte die Entwicklung der Leerwohnungsziffern keinesfalls ignorieren, dabei aber massgebliche externe Faktoren sowie die langfristigen Perspektiven im Blick behalten.
- Bei der Erhebung der Leerstände stehen den Gemeinden verschiedene Methoden zur Verfügung – regionale Unterschiede sind dadurch nicht vermeidbar und ein Vergleich ist nicht immer möglich.
- Die aktuell hohe Bautätigkeit ist massgeblicher Treiber der steigenden Leerwohnungsziffern – eine Senkung der Bautätigkeit ist gleichermassen realistisch wie notwendig.
- Der isolierte Verweis auf Rekordzahlen greift zu kurz – entscheidend sind die langfristigen Zukunftsperspektiven.
- Der Wohnungsbedarf richtet sich an der Entwicklung der Privathaushalte – diese entwickeln sich aufgrund demographischer Gegebenheiten schneller als das Bevölkerungswachstum.
Hier finden Sie zusätzliche Informationen zum investieren in Immobilien, ob zusammen mit anderen oder alleine. Neben der Leerwohnungsziffer gilt es unteranderem die unterschiedlichen Immobiliensteuern, die Lex Koller, die Lage und die Ausnützungsziffer bei einem Investitionsentscheid genau zu betrachten.
Klar ist: eine höhere Anzahl an leeren Wohnungen stellt kurzfristig neue Herausforderungen an Eigentümer – insbesondere bei Neubauten mit Erstvermietungsmandaten. Hier sind Transparenz und realistische Strategien gefragt. Aus diesem Grund agiert Crowdhouse bei der Vermietung proaktiv und berücksichtigt bei allen Liegenschaften einen Leerstandspuffer von 5%. Investoren sollen so bestmöglich vor steigenden Leerständen geschützt werden.
Weitere Einblicke ins Thema erhalten Sie in unserer «How to Real Estate» Folge zu Leerstand Teil 3:
Wohnungsleerstand in der Schweiz Teil 3 | Trendwende auf dem Wohnungsmarkt?
How to Real Estate #19